Veranstaltung des Graduiertenkollegs
Prof. Dr. Boris Nieswand (Universität Tübingen)
Freitag, 24.06.2022 von 13-18.00 Uhr UND Samstag, 25.06.2022 10-15.00 Uhr
Präsenz @ Humboldt-Universität zu Berlin
Innerhalb ethnografischer Methodendiskussionen herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass Beziehungen, die innerhalb ethnografischer Praxis eingegangen werden, konstitutiv für das darin hervorgebrachte Wissen sind. Im Gegensatz zu positivistischen Ansätzen wird Beziehungsförmigkeit dabei zunächst nicht als Makel verstanden, den es zu ‚minimieren‘ gälte, sondern als zentrale epistemische Ressource und Qualitätsmaßstab ethnografischer Praxis. Gleichzeitig hat sich aber im Rahmen der Debatten um die „Krise der ethnografischen Repräsentation“ (Berg & Fuchs 1993) sowie der Positionalität und Standortgebundenheit von Erkenntnissen (Harraway 1988; Delgado/ Stefancic 2017) eine unbehagliche Hermeneutik des Machtverdachts in der Ethnografie etabliert. Reflexivität gilt in diesem Zusammenhang als eine Art Zauberformel, die die Spannung zwischen Beziehungsförmigkeit als Qualitätsmaßstab guter ethnografischer Praxis und dem Unbehagen an wissenschaftlicher Praxis als relationaler Macht- und Autoritätsausübung überbrücken und moderieren soll. Dies gilt insbesondere für die besonders machtsensiblen Felder der gender studies, der disability studies und der Migrationsforschung. In deren Rahmen wird Reflexivität vor allem im Hinblick auf die intersektionale Selbstverortung der Ethnograf:innen entlang der Dimension ‚race‘, class,ability und gender verstanden