Fachdidaktische und professionstheoretische Überlegungen zu einem inklusiven Sachunterricht. Vergleichende Perspektiven zweier unterschiedlicher Handlungsfelder

Organisation: Nina Kallweit, Beatrice Kollinger, Florian Schrumpf und Nicole Woloschuk

Sollen inklusive Bildungssettings in Schulen etabliert werden, sind nicht zuletzt auch die Fachdidaktiken gefragt, traditionelle Wissensbestände kritisch zu reflektieren und neuen Erkenntnissen reflexiv zu begegnen. Der Sachunterricht als Fach der Grundschule hat im Vergleich relativ früh begonnen, sich dieser Herausforderung zu stellen. Dabei geht es auch nicht nur um eine differenzierte Gestaltung der Lehr-Lernarrangements im engeren Sinne, auch Veränderungen in Lehrer*innenbildung und professions-theoretische Erwägungen spielen hier mit hinein. Kumuliert werden beide Ansprüche bzw. Perspektiven in einem didaktischen Modell für inklusives Lehren und Lernen (DiMiLL) für den Sachunterricht aber auch andere Fachdidaktiken, herausgegeben von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe an der Humboldt-Universität zu Berlin. In diesem Modell verorten sich die Einzelbeiträge dieses Symposiums, welche sich sowohl fachdidaktischen als auch professionstheoretischen Fragestellungen widmen und theoretische sowie empirische Erkenntnisse einer vergleich- enden Perspektive unterziehen.

Inklusive politische Bildung im Sachunterricht
Jun.-Prof Nina Kallweit, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Kinder sind Teil von gesellschaftlichen Teilhabe- und Ausgrenzungsprozessen – auch in Bildungsinstitutionen. Politische Bildung, die sich im Kern mit grundlegenden Fragen und Problemen gesellschaftlichen Zusammenlebens auseinandersetzt, fragt inklusiv gedacht nach „Teilhabe und Ausgrenzungen in allen gesellschaftlichen Teilbereichen“ (Jahr & Hölzel 2019, S. 4). Durch eine explizite Thematisierung von Fragen der Zugänglichkeit z.B. zu Bildung können solche Teilhabe- und Ausgrenzungsprozesse offengelegt und dadurch ein Beitrag zur Förderung von Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit geleistet werden. Im Primarbereich ist Sachunterricht der Ort, an dem diese Lehr-Lern- bzw. Bildungsprozesse verankert sind. Im Beitrag werden die fachdidaktischen Möglichkeiten einer inklusiven politischen Bildung im Sachunterricht vor dem Hintergrund des Didaktischen Modells für inklusives Lernen und Lehren reflektiert sowie Forschungspers- pektiven aufgezeigt.

Traumatisierung und inklusiver Sachunterricht
Beatrice Kollinger, Humboldt-Universität zu Berlin

Die schulpädagogische und sachunterrichtsspezifische Auseinandersetzung bezüglich der Bildungsteilhabe von potentiell traumatisierten Kindern und Jugendlichen stellt einen vernachlässigten Forschungsbereich dar (vgl. Zimmermann et al. 2019). Hochschulische Ausbildungspraxis für angehende Grundschullehrkräfte leistet nur einen marginalen Beitrag zur Vorbereitung und reflexiven Auseinandersetzung der Studierenden für den Umgang mit Kindern in belasteten Lebenslagen. Im Beitrag wird das Potential des ‘Didaktischen Modells für inklusives Lernen und Lehren’ mit den ersten empirischen Ergebnissen des Dissertationsprojektes ‘Traumasensible Professionalisierung – eine empirische Untersuch- ung zur Begleitung potentiell traumatisierter Schüler*innen durch Studierende des Grundschullehramts’ (vgl. Kollinger 2019) zusammengedacht. Dabei werden Bedarfe eines inklusiven Professionalisierungsangebots formuliert, um die Bildungsteilhabe potentiell traumatisierter Schüler*innen im deutschen Schulsystem zu gewährleisten.

Explizite Thematisierung gesellschaftlicher Heterogenität im inklusiven Sachunterricht
Florian Schrumpf, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Sachunterricht hat die Aufgabe Bedingungen kindlicher Umwelterfahrungen zu themati- sieren, die durch das Zusammenleben von Menschen hervorgebracht werden – verbunden mit der Forderung auch jene Normen und Werte anzusprechen, die ein solidarisches Miteinander in der Gesellschaft ermöglichen. Die Gesellschaft für Didaktik des Sach- unterrichts (vgl. 2013) greift dies im Perspektivrahmen auf und fordert, gemeinsam mit Kindern verantwortliche und kritische Umgangsweisen mit gesellschaftlicher Heterogenität zu thematisieren. Beides – sowohl das Aufgreifen kindlicher Lebenserfahrungen als auch die Bildung hin zu einem verantwortungsvollen und solidarischen Bewegen in der Gesellschaft – ist konstitutiv für eine inklusive Gesellschaft. Von dieser bildungstheoretischen Anforderung an Sachunterricht ausgehend wurde in Gruppendiskussionen mit Grundschul- kindern der Frage nachgegangen welche Heterogenitätsdimensionen für Kinder relevant erscheinen, welche für sie handlungsleitend sind und welche Wege sie sich für ein solidar- isches Miteinander ersinnen können. Im Symposium fokussiert der Beitrag hierbei insbe- sondere die Ergebnisse dieses empirischen Teils und ordnet diese in das “Didaktische Modell für inklusives Lernen und Lehren” ein.

Die Thematisierung sozialer Ungleichheit im inklusiven Sachunterricht
Nicole Woloschuk, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Gesellschaftliche Fragestellungen und Bedingungen stehen im Sinne Klafkis (vgl. 2007) in einem engen Zusammenhang mit Bildungsfragen, aus dem für den Sachunterricht der Primarstufe nicht nur sein Bildungsauftrag, sondern auch Gegenstand abgeleitet werden kann. Als Ort der expliziten Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und somit auch inklusionsbezogenen Problemstellungen eröffnet der Sachunterricht diesbezüglich ein breites Potenzial und Spektrum an Möglichkeiten (vgl. Simon & Pech 2019). Obgleich dieser Tatsache, kann für empirisch fundierte Konzepte ihrer (in)direkten Thematisierung noch weitestgehend ein Desiderat beschrieben werden. Ziel des vorgestellten Forschungsvor- habens ist es daher, unter Berücksichtigung einer diskriminierungssensiblen und reflexiven Perspektive Ansätze zur Thematisierung von sozialer Ungleichheit im inklusiven Sach- unterricht zu entwickeln und empirisch zu fundieren. Dieses soll im Beitrag vor dem Hintergrund ausgewählter Elemente des ‘Didaktischen Modells für inklu-sives Lernen und Lehren’ dargestellt und reflektiert werden.