Zwischen kontextueller Verwobenheit und konjunktivem Erfahrungsraum: Vergleichende Blicke auf Verwirklichungsprozesse inklusiver Bildung

Organisation: Lisa M. Rosen, Katji S. Zauner und Sonia C. Schaefer

Mit der Ratifizierung internationaler Abkommen zur Inklusion haben sich nicht nur formal- rechtliche Vorgaben, sondern auch politische und (zivil-)gesellschaftliche Auseinander- setzungen mit inklusiver Teilhabe verändert. In der Erziehungswissenschaft stehen in diesem Kontext schon länger defizitorientierte Ansätze in der Kritik, denn diese bilden die Relationalität individueller Organisationen mit gesellschaftlichen (Macht-)Ordnungen bzw. Hegemonien nur unzureichend ab (vgl. z.B. Esefeld et al. 2019; Cramer & Harant 2014). In unserer Arbeitsgruppe nehmen wir diese Kritik auf und richten den Blick auf die (gesell- schaftlich-politisch-umweltlichen) Verwobenheiten von Inklusion. Angelehnt an eine macht- und ideologiekritische Konzeptionalisierung von Gesellschaft als Referenzort von Teilhabe-Möglichkeiten nähern wir uns dem Forschungsfeld Inklusion aus unterschiedlichen theo- retischen Perspektiven (Professions-, Bildungs-, Institutionen-, Diskurstheorie). Dabei fassen wir die Verwirklichung inklusiver Bildungsräume als relationalen sowie (in praktischen, institutionellen bzw. diskursiven Kontexten) prozessual hergestellten Gegenstand, der in Spannungsfelder von Wissensformationen, Systemstrukturen und Machtfaktoren einge- lassen ist. Diese Annäherungen wollen wir als method(olog)ische Herausforderung an die (praxis- und diskurstheoretischen) wissenssoziologischen Ausprägungen der Dokumentar- ischen Methode diskutieren. Durch die Gegenüberstellung der damit jeweils verknüpften theoretischen sowie forschungspraktischen Rahmungen erhoffen wir uns eine reflexive Konturierung des Forschungsgegenstands unter besonderer Berücksichtigung der Bedeu- tung konjunktiver Erfahrungsräume.

Episoden der Inklusion. Annäherungen an die Dokumentarische Methode als intersektionale „Spurensuche“ Lisa M. Rosen, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg

Welche Rolle spielen einerseits transnationalisierte, dezentralisierte, (teil)-privatisierte und datengestützte Steuerung und andererseits (menschen-)rechtlich codierte, staatlich rati- fizierte Verpflichtungen, wie sie in der EU seit den letzten Dekaden implementiert wurden, beim Abbau von (institutioneller) Diskriminierung im Hochschulbereich? In meinem Promo- tionsprojekt greife ich diese Frage auf theoretischer Ebene auf, indem ich eine intersek- tional-diskriminierungssensible Fokussierung des Forschungsgegenstands vornehme (Go- molla 2016; Emmerich & Hormel 2013). Diese wird einem komparativen Analyserahmen zugeführt, der auf narrative Korrespondenzen zwischen institutionellen (Krücken & Röbken 2015) und diskursiv konfigurierten (Viehöver 2001) Wissensordnungen fokussiert und diese für eine qualitativ rekonstruktive Mehrebenenuntersuchung fruchtbar macht. Im Rahmen der Arbeitsgruppe möchte ich anhand exemplarischer Interviewsequenzen die These diskutieren, dass sich die Prozessierung von mit Inklusion verbundenen Gesellschaftsent- würfen – sowie möglicherweise enthaltenen Brüchen und Blindflecken – als spezifisches Relationsverhältnis zwischen einerseits gruppenbezogenen Positionierungen (vgl. Wrana 2015) und andererseits Normen organisationaler Subjektwerdung (vgl. Geimer & Amling 2019) nachvollziehen lässt. Konkret möchte ich im Zuge des Vergleichs verschiedener theoretisch-konzeptioneller Zugriffe diskutieren, inwiefern es sich hierbei um konjunktive Erfahrungsräume handelt, mithilfe derer sich „de[r] oder die Diskurs(e) aus den Fällen heraus [zu] präparieren [lassen, LR]“ (Nohl 2019, S. 92).

Bildungsprozesse gemeinsamer Visionen – Überlegungen zu einer Theorie kollektiver transformatorischer Bildungsprozesse in Gründungsinitiativen inklusiver Schulen
Katji S. Zauner, Humboldt-Universität zu Berlin

Welche Vorstellungen von Inklusion dokumentieren sich in Gruppen, die sich zusammen- schließen, um eine inklusive Schule zu gründen? Wie werden gemeinsame Visionen inklusiver Schulen hergestellt? Welche Rolle spielt dabei die Kritik am Bestehenden? Diesen und weiteren Fragen möchte ich mich in dem Beitrag widmen. Aufbauend auf dem Gedanken, dass Inklusion – als nie abzuschließender und von Widersprüchen geprägter Aushandlungsprozess – einige Grundprämissen des Schulsystems infrage stellt (vgl. Esefeld 2019; Lamprecht 2020), werfe ich einen ideologiekritischen, relationalen Blick auf Herstellungspraktiken gemeinsamer Visionen der Veränderung in Gründungsinitiativen neuer inklusiver Schulen. Der zugrundeliegende theoretische Bildungsbegriff schließt an den Vorschlag der Theorie transformatorischer Bildungsprozesse an (vgl. Peukert 1984, Kokemohr 1989; Marotzki 1990; Koller 2018). Transformation meint die grundlegende Veränderung des Verhältnisses zu sich, zu anderen und zur Welt. Durch die Verknüpfung mit Gramscis Gedanken (GH 2012) zur gesellschaftlichen Transformation bewegt sich der Fokus von der bildungswissenschaftlichen Fragetradition nach individueller Veränderung hin zu einem Fokus auf Herstellungspraktiken gemeinsamer Visionen der Veränderung. Ziel ist es, der Kritik einer Unterbestimmung des ‚Weltverhältnisses‘ zu entgegnen sowie das ideo- logiekritische und -verändernde Moment des Bildungsbegriffs in den Vordergrund zu rücken. In der Arbeitsgruppe möchte ich auf Basis erster Ergebnisse diskutieren, inwiefern Ideologiekritik und die Dokumentarische Methode zusammengedacht werden können und ab wann sich abzeichnende Veränderungen als ‚Transformationen‘ zu werten sind.

Inklusion und Digitalisierung: Verwoben? – Eine professionstheoretische Perspektive
Sonia C. Schaefer, Humboldt-Universität zu Berlin

Wie gestaltet sich Teilhabe, wenn digitale Medien im Unterricht mit einbezogen werden? Welches Professionswissen dokumentiert sich, wenn Lehrpersonen von ihrer Erfahrung mit Digitalisierung und Inklusion erzählen? Wie gehen Lehrpersonen mit den Anforderungen um, die jeweils mit inklusivem und digitalem Unterricht verbunden sind, wie mit ihrer Kombination? Diese Fragen leiten unter anderen das vorliegende Promotionsprojekt. Aus normativer Perspektive sind sowohl die voranschreitende Digitalisierung der Schule als auch eine gelingende Inklusion in ihrer Umsetzung stark auf die Handlungspraxis der Lehrpersonen angewiesen. Hierbei wird die Notwendigkeit der Rekonstruktion von den handlungsleitenden Wissensbeständen, die dieser (mehrdimensionalen) Praxis zugrunde liegen stark in den Vordergrund gerückt. Angelehnt an die theoretischen Auslegungen der Professionalisierung in praxeologischer Perspektive (vgl. Bohnsack 2020) möchte ich anhand von narrativen Interviews mit Lehrpersonen (vgl. Nohl 2017) rekonstruieren, welches inklusionsbezogene Wissen sich in Bezug auf den Umgang mit Digitalisierung verbundenen Anforderungen dokumentiert. Anliegen des Beitrags ist es, mit den sich aus dem Projekt ergebenden Überlegungen in den Dialog – im Kontext dieser Arbeitsgruppe insbesondere mit weiteren Theoriesträngen – einzutreten und somit zur weiteren Konturierung des Gegenstandes Inklusion beizutragen.