Arbeitsgruppe: Perspektivität und Reflexivität - Methodologische Fragen an die Dokumentarische Unterrichtsforschung

Organisation: Johannes Ludwig, Swantje Peter, Hubertus Redlich;
Diskutant*innen: Jun.-Prof. Anja Hackbarth und Prof. Dr. Matthias Martens

Die Dokumentarische Methode (vgl. u.a. Bohnsack 2014; Asbrand & Martens 2018) ist für die Analyse und Rekonstruktion pädagogischer Situationen und Themen, im Speziellen aber auch im Zuge der Inklusionsforschung und Differenztheorie, bereits etabliert (vgl. u.a. Hackbarth 2017; Martens 2010). Im Zuge der Be- und Erarbeitung von Forschungs- und Qualifikationsarbeiten mithilfe dieser Methode resp. der Praxeologischen Wissenssoziologie (Bohnsack 2017; Mannheim 1970, 1980) wird jede*r Forschende zwangsläufig mit der Frage zur Standortgebundenheit bei der Interpretation (Deppe et. al. 2018) konfrontiert. In dieser Arbeitsgruppe wollen wir diese Frage in den Fokus stellen: Was passiert, wenn drei unter- schiedliche Forscher*innen, die in ihren Forschungsprojekten unterschiedliche Frage- stellungen der reflexiven Inklusionsforschung bearbeiten, dabei unterschiedliches (eigenes Daten-)Material als (implizite) Referenz für reflektierende Interpretation und Typenbildung heranziehen und durch unterschiedliche Forschungswerkstätten geprägt sind, unabhängig voneinander Ausschnitte derselben videografierten Unterrichtsstunde mit ihren unter- schiedlichen fachlichen Orientierungen dokumentarisch interpretieren? Die Ergebnisse sollen miteinander im Sinne einer ‚constant comparative method‘ (Glaser et al. 1980) rela- tioniert und gemeinsam mit Jun.-Prof. Dr. Anja Hackbarth (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz) und Prof. Dr. Matthias Martens (Universität zu Köln) diskutiert werden

Sprache gemeinsam betrachten
Johannes Ludwig, Goethe-Universität Frankfurt

Das Dissertationsprojekt “Sprache gemeinsam betrachten” setzt sich mit der Fragestellung auseinander, wie sich (Lern-)Prozesse der Sprachbetrachtungen unter den Bedingungen von (formaler) Inklusion und Exklusion gestalten. Dazu werden videografierte (Deutsch-)Unter- richtsstunden einer inklusiven Grundschule und zwei Förderschulen (Förderschwerpunkte Hören sowie körperliche und motorische Entwicklung) mithilfe der Dokumentarischen Methode vergleichend ausgewertet. Im Fokus stehen hierbei unterrichtliche Vermittlungs- und Aneignungssituationen, in denen sprachliche Phänomene zum Thema werden, indem sie distanzierend, dekontextualisierend oder deautomatisierend aus ihrem pragmatischen Verwendungskontext gelöst werden (vgl. Bredel 2013). Beispiele für auf diese Weise definierte Sprachbetrachtungen sind Prozesse der Flexion, der Korrektur sprachlicher Fehler oder der Übersetzung von Gebärdensprache in gesprochene Sprache. Vor diesem Hintergrund soll in dieser Arbeitsgruppe eine Unterrichtssequenz auf ihre sprachlich-fachlichen Aspekte hin untersucht werden sowie die komplementären fachbezogenen Orientierungen der Lehrer*innen und Schüler*innen herausgearbeitet werden (vgl. Martens & Asbrand 2017; Asbrand & Hackbarth 2018).

Partizipation im Fachunterricht. Rekonstruktion der Interaktionssysteme
Swantje Peter, Humboldt-Universität zu Berlin

Das Promotionsprojekt “Partizipation im Fachunterricht. Rekonstruktion der Interaktions- systeme“ ist in der systemtheoretisch und wissenssoziologisch (Mannheim 1980; Bohnsack 2014) fundierten Dokumentarischen Unterrichtsforschung (Asbrand & Martens2018; Luhmann 2002; Vogd 2011) einzuordnen. Ziel der Untersuchung ist es, die Interaktions- ordnung von Lehrkräften und Schüler*innen, innerhalb derer Partizipation entsteht, zu rekonstruieren. Studien haben ergeben, dass sich Partizipation in der Schule immer in den Antinomien von Autonomie und Zwang und zwischen suggerierter Symmetrie und einer unauflöslichen Machtasymmetrie (vgl. de Boer 2006, S. 214ff.) bewege. Aufgrund dieser Ergebnisse ist die interaktiv hervorgebrachte Praxis und Aushandlung von Partizipation Gegenstand der Untersuchung. Dabei dient die Komplexität von Unterricht, die nach Asbrand & Martens (2018) in Bezug auf Luhmann (2002) theoretisch als Kombination aus einer spezifischen Sozialstruktur, einer besonderen Zeitstruktur sowie einer mehr- dimensional und multidimensional gefassten Sachstruktur beschrieben werden kann (vgl. ebd.), als Beschreibungsschema für die Analyse. Der systemtheoretische Blick auf Unterricht verdeutlicht zudem, dass Lehrpersonen auf der einen und Schüler*innen auf der anderen Seite auf der Grundlage unterschiedlicher Systemreferenzen am Unterricht teilnehmen. Mithilfe der Dokumentarischen Methode können diese unterschiedlichen Systemreferenzen als konjunktive Erfahrungsräume (Mannheim 1980) bzw. komplementäre Orientierungen (Asbrand & Martens 2018) erfasst werden, die das Interaktionsgeschehen bestimmen. Erkenntnisleitend ist hierbei die Frage, wie sich im Zusammenspiel aller Beteiligten eine soziale Ordnung bildet, die darauf spezialisiert ist, Partizipation im Unterricht herzustellen. Für diese Arbeitsgruppe wird der Blick im gemeinsam verwendeten Material daher auf die soziale Ordnung in den Herstellungsprozessen von Partizipation gelenkt.

KOOPERATION MACHT SINN
Hubertus Redlich, Humboldt-Universität zu Berlin

In dem Dissertationsvorhaben “KOOPERATION MACHT SINN” wird anhand von Video- aufnahmen inklusiven Grundschulunterrichts mithilfe der Dokumentarischen Methode der Interpretation der Frage nachgegangen, wie vermittels Pädagogik Kooperation hergestellt und in pädagogischer Interaktion gemeinsam ausgestaltet wird. Die Fokussierung auf den Begriff der Kooperation rührt einerseits daher, als dass damit Unterrichtssituationen (i.e.S., Breidenstein 2006) gemeint sind, in denen zwischen den beteiligten Akteur*innen – mehr oder weniger – gemeinsam geteilte Ziele verfolgt werden. Anderseits werden insbesondere die Kooperation unter Schüler*innen (in heterogenen Lerngruppen), aber auch die individuelle und prozessorientierte Unterstützung des Lernens als probates Mittel der Unterrichtsgestaltung beschrieben, so dass (präskriptive) inklusive Pädagogiken und Didak- tiken seit den 1980er Jahren (Müller 2018a; 2018b) und (unterrichts-)methodische Über- legungen unter dem Label des kooperativen Lernens und Arbeitens in der Schulpädagogik (Borsch 2018; Rabenstein & Reh 2007) – mit gewissen Wirksamkeitsannahmen verbunden – stark geprägt sind von (normativen) Vorgaben zur kooperativen Tätigkeit. Vor diesem Hintergrund soll in dieser Arbeitsgruppe eine Unterrichtssequenz dahingehend interpretiert werden, wie Kooperativität und Pädagogizität (Hollestein, Meseth & Proske 2016) in aufgabenbezogener Interaktion hergestellt werden, die zwischen Schüler*innen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf und zwischen diesen und den Lehrkräften aus- gestaltet werden.