Übergangs- und Teilhabeforschung im Kontext der Erwerbsarbeit

Organisation: Philine Zölls-Kaser, Robel Afeworki Abay und Jan Jochmaring

Der normative und gesetzliche Anspruch der UN-BRK (Art. 27) führt bislang nicht dazu, dass sich die Teilhabechancen beeinträchtigter Menschen am Arbeitsmarkt nachhaltig ver- bessert haben (Biermann 2015; Ritz 2015). Entgegen dieses normativen Anspruchs, eine inklusive Arbeitswelt zu schaffen, expandieren aktuell Sondersysteme wie die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), die nur eine sehr geringe Durchlässigkeit in den ersten Arbeitsmarkt aufweisen (Jochmaring 2019; Schreiner 2017). Insgesamt sind für junge Menschen mit Beeinträchtigungen keine Teilhabeverbesserungen im Übergang von der Schule in die Arbeitswelt festzustellen (Ritz 2015; Jochmaring et al. 2019). Ebenso ist eine Persistenz behinderungsspezifischer Maßnahmen in der Berufsvorbereitung und Berufs- ausbildung zu konstatieren (Jochmaring 2019). Nur ein Teil des Personenkreises beeinträch- tigter Menschen wird überhaupt in reguläre Arbeitsmärkte einbezogen, arbeitet jedoch überproportional häufig in prekären Beschäftigungsverhältnissen (Biermann 2015; Pieper 2016; Becker 2016). Zunehmend erfolgt eine Teilhabe am Arbeitsleben in exklusions- verwaltenden Organisationen, d.h. in Sondersystemen wie der WfbM (Becker 2017; Schreiner 2017). Diese haben zwar einerseits den Anspruch in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln (Inklusionsvermittlung), andererseits betreiben sie jedoch eine Exklusionsverwaltung, da sie Arbeitskräfte vom regulären Arbeitsmarkt absorbieren (Schreiner & Wansing 2016). Wie sich die Veränderungen der Arbeitswelt 4.0 auf die Beschäftigung von Menschen mit Be- einträchtigungen auswirkt ist bislang wenig erforscht und stellt ein zentrales Forschungs- desiderat dar (Engels 2016). Unter dem Label „Arbeit 4.0“ werden insbesondere Substi- tuierbarkeitspotentiale und Automatisierungsprozesse im Zuge der Digitalisierung expli- ziert, die mit der Pluralisierung von Beschäftigungskonstellationen und fortschreitender Bildungsexpansion und Qualifikationsentwertung einhergehen (Jochmaring & York i.E.). Für viele Menschen mit Beeinträchtigungen stellt die Digitalisierung voraussichtlich, neben Potentialen durch eine Zunahme und Qualitätsverbesserung assistiver Technologien, eine Einschränkung der Beschäftigungsoptionen im ersten Arbeitsmarkt dar, da bestehende Beschäftigungsoptionen durch Technik ersetzt werden können (Engels 2016). Ausgehend von dem Forschungsstand ist festzustellen, dass zum Verlauf und Erfolg der beruflichen Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen insgesamt noch wenig empirisch fundierte Erkenntnisse vorliegen. Anhand unserer Promotionsprojekte möchten wir mit dem Panel theoretische Erkenntnisse und empirische Forschungsergebnisse diskutieren und zu einem bisher wenig erforschten Gebiet der Übergangs- und Teilhabeforschung im Kontext der Erwerbsarbeit beitragen.

Zwischen Wunsch und Realität – der Übergang Schule-Beruf bei Schüler*innen des Förderschwerpunktes Geistige Entwicklung. Erste Ergebnisse einer explorativen, multiperspektivischen Längsschnittstudie
Philine Zölls-Kaser, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Datenlage zu dem Verbleib von Förderschüler*innen nach der Schule ist nach wie vor mangelhaft. Die Wege von ehemaligen Förderschüler*innen nach der Schule in Ausbildung, Arbeit oder Übergangsmaßnahmen können mit Hilfe der bestehenden Statistiken nur sehr vage nachvollzogen werden. Welche Gründe dies hat und was das „Verschwinden“ dieses Personenkreises bedeutet, soll in dem geplanten Vortrag dargestellt werden. Es werden erste Ergebnisse einer explorativen, multiperspektivischen Längsschnittstudie zu der Ent- stehung des Berufswunsches und die Umsetzung dessen (Partizipation) bei Schüler*innen des Förderschwerpunktes Geistige Entwicklung vorgestellt. Dabei ist bei dieser kleinen Stichprobe zu erkennen, dass das Lehrpersonal, die Reha-Berater*innen der Bundesagentur für Arbeit, sowie die Eltern einen großen Einfluss auf die Berufswahl der Schüler*innen und die Umsetzung dessen haben. Die dabei zutage getretenen Hindernisse, aber auch förder- liche Unterstützungen stehen dabei im Fokus. Das statistische „Verschwinden“ der Förder- schüler*innen beim Übergang Schule-Beruf, sowie weitere Forschungslücken werden the- matisiert.

Erschwerter Zugang zu Erwerbsarbeit von BIPoC mit Behinderungserfahrungen
Robel Afeworki Abay, Humboldt-Universität zu Berlin

Aufgrund weitgreifender Wandlungs- und Umstrukturierungsprozesse einer hochselektiven und exklusiven Arbeitsgesellschaft zeigen sich für die Personengruppe BIPoC mit Behin- derungserfahrungen insgesamt erschwerte Zugangsvoraussetzungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Aussicht auf eine Erwerbsarbeit, die nicht nur dauerhafte ökonomische Existenzsicherung, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung mit sich führt, ist für diese Personengruppe entsprechend äußerst gering. Somit bleibt für sie vorwiegend eine Beschäftigung in Sondereinrichtungen (wie z.B. WfbM). Zu den Bedingungen der Teilhabe und Ausgrenzung dieser Personengruppe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt liegen bislang kaum empirische Erkenntnisse vor. An diesem Forschungsdesiderat setzt mein partizipatives Promotionsprojekt an, um den theoretischen Teilhabediskurs über BIPoC mit Behinderungs- erfahrungen im Kontext der Erwerbsarbeit zu schärfen und entfalten. Ausgehend von den ersten empirischen Erkenntnissen des Promotionsprojekts liefert der Vortrag einen Überblick darüber, wie die subjektiven Sichtweisen dieser Personengruppe im Forschungs- prozess mittels partizipativer Forschung umfassend berücksichtigt werden können und welche methodologischen und forschungsethischen Herausforderungen dabei auftreten (Otten & Afeworki Abay i.V.). Bei der ersten Auswertung der erhobenen qualitativ-explorativen Interviews werden u.a. die Ausgrenzungsphänomene Ableism und Rassismus als kumulativ wirksame Ausschlussmechanismen beim Zugang zu Erwerbsarbeit erkennbar, aber auch vielfältige Bewältigungsressourcen. Des Weiteren wird im Vortrag erläutert, wie eine postkolonial informierte Intersektionalitätsforschung (Postcolonial Intersectionality) für die Teilhabeforschung fruchtbar gemacht werden kann, um Verwobenheiten von Rassismus und Ableism als Effekte machtvoller sozialer Praxis der Differenzierung und Ausgrenzung theoretisch und empirisch analysieren zu können (Afeworki Abay i.E.).

Menschen mit Behinderung im ‚inklusiven Arbeitsmarkt‘!? Entwicklungstendenzen und Widersprüche der ‚Arbeitswelt 4.0‘
Jan Jochmaring, Technische Universität Dortmund

Durch die UN-Behindertenrechtskonvention wird der explizierte Anspruch formuliert, einen ‚inklusiven Arbeitsmarkt‘ zu schaffen. Dieser normativen und politischen Zielvorgabe stehen aktuelle Arbeitsmarktentwicklungen und bestehende Beschäftigungsverhältnisse entgegen. Nur ein Teil von Menschen mit Behinderung findet eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt, gleichzeitig expandieren Sondersysteme wie Werkstätten für behinderte Menschen. Unter dem Schlagwort ‚Arbeit 4.0‘ werden aktuell Prozesse der Automatisierung im Zuge der Digitalisierung und Substituierbarkeitspotentiale menschlicher Arbeitskraft diskutiert. Diese gehen mit einer Pluralisierung der Beschäftigungskonstellationen und durch die weitreichende Bildungsexpansionsentwicklung verbundene Qualifikationsent- wertung einher. In dem Vortrag werden die angeführten Veränderungsprozesse im Zuge der Entwicklung einer Arbeitswelt 4.0 kritisch in den Blick genommen und hinsichtlich neuer Exklusions- und Inklusionsmechanismen diskutiert. Der zentrale Antagonismus zwischen politischen, gesetzlichen und normativen Forderungen nach einer inklusiven Ausgestaltung von Arbeitswirklichkeiten und der aktuellen Technologie-, Beschäftigungs- und Wissens- entwicklung wird aufgezeigt. Es schließt an die Meta-Diskussion an, wieviel ‚disability‘ Menschen in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem zugestanden wird.