Innerhalb ethnografischer Methodendiskussionen herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass Beziehungen, die innerhalb ethnografischer Praxis eingegangen werden, konstitutiv für das darin hervorgebrachte Wissen sind. Im Gegensatz zu positivistischen Ansätzen wird Beziehungsförmigkeit dabei zunächst nicht als Makel verstanden, den es zu ‚minimieren‘ gälte, sondern als zentrale epistemische Ressource und Qualitätsmaßstab ethnografischer Praxis. Gleichzeitig hat sich aber im Rahmen der Debatten um die „Krise der ethnografischen Repräsentation“ (Berg & Fuchs 1993) sowie der Positionalität und Standortgebundenheit von Erkenntnissen (Harraway 1988; Delgado/ Stefancic 2017) eine unbehagliche Hermeneutik des Machtverdachts in der Ethnografie etabliert. Reflexivität gilt in diesem Zusammenhang als eine Art Zauberformel, die die Spannung zwischen Beziehungsförmigkeit als Qualitätsmaßstab guter ethnografischer Praxis und dem Unbehagen an wissenschaftlicher Praxis als relationaler Macht- und Autoritätsausübung überbrücken und moderieren soll. Dies gilt insbesondere für die besonders machtsensiblen Felder der gender studies, der disability studies und der Migrationsforschung. In deren Rahmen wird Reflexivität vor allem im Hinblick auf die intersektionale Selbstverortung der Ethnograf:innen entlang der Dimension ‚race‘, class,ability und gender verstanden.
Der Workshop nimmt diese aktuellen Debatten und Herausforderungen auf, die sich aus dem skizzierten Spannungsverhältnis ergeben und strebt danach, die Grundlage der Diskussion um Reflexivität und Repräsentation ethnografisch zu präzisieren und zu erweitern. Dies bedeutet, dass wir anhand von eigenen ethnografischen Materialien möglichst über das Verhältnis zwischen Positionalität/Relationalität, Reflexivität und Repräsentation nachdenken und diskutieren. Leitfragen in diesem Zusammenhang lauten:
- Welche Relationen und Positionalitäten sind für die eigene Wissensproduktion
relevant?
- Wie verändern sich Positionalitäten über den Zeitraum der Forschung?
- Wie zeigen sie sich in den ethnografischen Repräsentationen?
- Was bedeutet Reflexivität für den eigenen Forschungsprozess?
- Wie zeigen sich unterschiedliche Ebenen ethnografischer Reflexivität in den eigenen Textprodukten?
- Wie können die Teilnehmenden ihre eigene Schreibpraxis reflexiv weiterentwickeln?
Vor dem Hintergrund eines breiten theoretischen Inklusionsverständnis sollen dabei ethnografische Arbeiten im Fokus stehen, die sich mit Prozessen der Exklusion, Marginalisierung und Segregation beschäftigen. Der Workshop soll den Teilnehmenden vor allem ein Forum bieten, um Fragen zur Praxis des ethnografischen Schreibens gemeinsam anhand eigener Erfahrungen zu erörtern und zu ergründen.
EINGELADEN sind Forschende (primär Promovierende und post-docs) in fortgeschrittenen ethnografischen Projekten, um die aufgeworfenen Fragen an das ethnografische Schreiben am Beispiel eigener Texte zu diskutieren. Die Teilnahme am Workshop ist als Diskutant:in oder als Materialeinbringende:r möglich. Um die Diskussion intim und lebendig zu halten,
ist der Workshop auf 15 Teilnehmer:innen (davon 4-5 Materialeinbringende) begrenzt mit maximal 5 Wartelistenplätzen. Wir freuen uns auf Anmeldungen aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsfeldern, die im Herzen um das Thema Inklusion/Exklusion kreisen!
Dozent: Prof. Dr. Boris Nieswand ist Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Migration und Diversität. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die (reflexive) Migrations- und Diversitätsforschung, Stadtforschung und Soziologie der Moral.
ANMELDUNGEN zum Werkstattgespräch bis zum 14.05.2022 bitte an david.brehme@hu-berlin.de. Bitte geben Sie bei Ihrer Anmeldung an:
- Name & Institutionelle Anbindung
- Eigener Forschungskontext: an welchem ethnografischen Projekt arbeiten Sie gerade? (100-200 Wörter)
- Welche Fragen möchten Sie im Workshop diskutieren?
- Materialeinbringende: Welches Material möchten Sie gern im Workshop gemeinsamdiskutieren?
Das Werkstattgespräch wird gemeinsam organisiert von Ingmar Zalewski (Universität Kassel) und David Brehme (Humboldt-Universität zu Berlin) für das Graduiertenkolleg „Inklusion - Bildung - Schule“ im Zentrum für Inklusionsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin.